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Narzissmus in Beziehungen

Narzissmus in Beziehungen

Vorab angemerkt: Ich beziehe mich in diesem Artikel über Narzissmus auf die Dynamik Frau-Opfer, Mann-Narzisst, da die Häufigkeit in meinem Praxisalltag bei dieser Rollenverteilung ganz klar ihren Schwerpunkt hat. Natürlich gibt es auch weibliche Narzissten und männliche Opfer einer solchen Beziehung.
Auch geht es nicht darum, Narzissten als schlechte Menschen dastehen zu lassen, doch der Fokus des Artikels liegt nicht bei der persönlichen Geschichte des Narzissten, seinem eigenen Leid oder den Vorzügen in anderen Bereichen seines Lebens. Auch nicht bei dem Thema, dass viele Menschen narzisstische Persönlichkeitsmerkmale haben und noch lange keine Narzissten sind, denn: auf die Ausprägung kommt es an! Oder dass mitunter inflationär mit dem Begriff „Narzisst“ umgegangen wird, wenn der Partner mal mies war.

Der Fokus liegt bei denen, die unter einer Beziehung mit einem ausgeprägten Narzissten leiden. Für die Familie oft schwer auszuhalten, für die Opfer kaum noch oder nicht mehr steuerbar: Eine Beziehung mit einem Narzissten.

Narzissmus hat immer ähnliche Gesichter

Die Verläufe der Beziehungen mit einem Narzissten ähneln sich in ihrer Struktur.

Am Anfang ist es ein Traum, der rote Gefühlsteppich wird ausgerollt, kiloweise Rosenblätter gestreut, dazu Komplimente, Geschenke – und der ehrliche, tiefe Blick in die Augen: „So wie mit Dir – so war es für mich noch nie. Du bist die erste Frau, für die ich so empfinde“. Das schmeichelt der Seele, das lässt Gefühle vor Freude Samba tanzen, das Selbstwertgefühl erhält einen ordentlichen Schub nach vorn. So beginnt es häufig. Am Anfang ist der Gedanke an Narzissmus noch nicht mal ansatzweise auf dem Tisch.

Wann die ersten Beleidigungen und Demütigungen dann genau stattfinden haben, kann die Betroffene oft nicht mehr genau benennen, es beginnt ein kräftezehrendes Wechselspiel von Distanz und Nähe, von Versprechungen, Drohungen, Schmeicheleien und Beschimpfungen. Von „Du bist nichts wert, ohne mich bist Du doch ein Nichts, Dich will eh niemand“ bis zu „Du weißt, dass ich Dich liebe und niemand Dich jemals so lieben wird wie ich“ – es ist alles dabei.

Narzissmus ist die Idee der eigenen Größe, ein Narzisst nimmt sich extrem wichtig, er erwartet, dass er bevorzugt behandelt wird. Alle sollen ihn großartig finden. Ihn wiederum  interessieren Menschen, die für ihn wichtig sind und in seinem Wertesystem eine höhere Rolle spielen. Die Bestätigung von außen ist existentiell für ihn, Narzissten wären zum Beispiel nie anonyme Spender, denn es muss sichtbar sein, dass sie was geleistet haben.

Einsamkeit, Leere, Suizidgedanken, Depressionen – auch das kann zum inneren Erleben eines Narzissten gehören, Mitgefühl mit anderen eher nicht. Sie erfassen die Gefühle kognitiv, können die Zusammenhänge verstehen – empfinden dabei aber weniger als andere Menschen, wenn jemand leidet.

Narzissmus braucht Gesellschaft, aber keine, die kritisch ist

Ein Narzisst braucht Applaus, also reagiert er sehr empfindlich bis aggressiv auf Kritik und fehlende Bestätigung. Freunde der Frau, die ihn skeptisch sehen, werden diskreditiert, gern streut der Narzisst Zweifel, ob die Freunde und die Familie es wirklich gut meinen – und eigentlich wäre es in seinen Augen wichtig, Distanz zu diesen Menschen zu schaffen.

Ein Narzisst möchte seine Partnerin in der Regel von anderen isolieren, denn häufig kann er seine charmante Fassade bei den engen Bezugspersonen nicht aufrechterhalten – und das ist er: charmant! „Sie glauben nicht, wie gut er in Gruppen ankommt – lustig, aufgeschlossen, die liegen ihm alle zu Füßen, keiner kann sich vorstellen, wie er auch sein kann.“ Und wenn mal mit irgendwem der Haussegen schiefhängt – dann ist das natürlich die Schuld des anderen, vor allem die Ex-Partnerin bekommt kein gutes Wort geschenkt. Natürlich ist anfangs die aktuelle Partnerin nicht mit ihr zu vergleichen – in jeder Hinsicht ist sie wunderbar, im Vergleich zur grauenhaften Ex.

Doch wenn die Barkassenfahrt durchs Rosarot vorbei ist, dann schafft der Narzisst es, bei seiner Partnerin so vehement auf ihre Selbstwahrnehmung einzuwirken, dass sie sich nicht mehr klar darüber ist, wo oben und unten ist – ob er nicht doch recht hat, ob sie nicht doch einiges einfach falsch verbucht und sich nur nicht ausreichend bemüht. Und vor allem: Er kennt ihre Schwächen, ihre wunden Punkte – und nutzt das aus, um ihr Selbstwertgefühl weiter zu zerlegen.

Auch der Partnerin das Gefühl zu geben, sie sei nicht mehr Herrin ihrer Wahrnehmung kann dazu gehören: Dinge in ihrem Umfeld sind auf einmal kaputt oder nicht mehr an ihrem Platz? Dem Narzissten ist fast jedes Mittel recht, um zu verunsichern.

Wenn es am schlimmsten ist, dann hat der Narzisst es geschafft, seine Partnerin abzuschotten, ihr Selbstvertrauen zu demontieren und sie komplett für sich zu vereinnahmen. Narzissmus ist ein Machtspiel, welches der Narzisst gewinnt, wenn es einsam um Sie herum wird – denn nun fehlt alles Regulierende von außen. Ein Narzisst kann es schaffen, dass Familie und Freunde nicht mehr durchdringen können und als schädlich angesehen werden – und höchstwahrscheinlich nur etwas gegen ihn als Mensch haben und ihr das Glück mit ihm nicht gönnen. Es gibt aus gutem Grund viele Bücher von Opfern, die eine Beziehung mit einem Narzissten überstanden haben und die beschreiben, wie schwer es war, sich daraus zu befreien.

Sollten Sie irgendwo ganz hinten in Ihrem Unterbewusstsein oder auch sehr präsent das Gefühl haben, viele der Punkte treffen auf Sie und Ihre Beziehung zu, dann lesen und sprechen Sie! Beschäftigen Sie sich mit dem Thema, und ganz wichtig: nehmen Sie Kontakt auf. Falls Sie bereits Kontakte abgebrochen haben – reaktivieren Sie sie. Gute Freunde oder Familie werden Sie nicht vor der Tür stehen lassen, machen Sie unbedingt einen Schritt aus der Isolation. Holen Sie sich mentale Unterstützung, auch professionelle Hilfe. Eventuelle Scham- und Schuldgefühle können Sie dort ablegen, Sie sind nicht Schuld – und Sie sind nicht allein.

 

 

 

 

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